Ein kleiner Junge geht an einer einsamen Straße entlang. Er ist traurig, denn "eigentlich" sind seine Lieblingsfächer Mathe und Sport, erklärt er mit brüchiger Stimme an diesem düsteren Tag im Herbst. Nur leider sind seine Lehrer überlastet, weshalb erst heute wieder drei Stunden ausgefallen sind ... und der Schulbus fährt auch nur manchmal. Also muss er von der Schule wohl oder übel zu Fuß nach Hause laufen ... ach ja, und natürlich unternimmt die Regierung nichts dagegen – wäre argumentativ ja auch doof.
Schriebe ich (Konjunktiv) an dieser Stelle, dass die AfD – von der stammt obiger Werbesport für die Wahl in Thüringen nämlich – die Ängste der Menschen schürt – was sie natürlich in keiner Weise tut – würde ich (Konjunktiv) vermutlich einen ähnlichen Shitstorm kassieren wie für meinen Facebook-Post über Donald Trumps Respektlosigkeit gegenüber Greta Thunberg. Also schreibe ich ausdrücklich NICHT dass die AfD mit Halbwahrheiten den Eindruck erweckt, dass Thüringen bildungspolitisch am Ende ist, denn – und hier schließt sich der Kreis – die AfD denkt an die Menschen und will ihnen helfen, weil sie eine ehrenhafte ... blablabla, ich kann's nicht mehr hören ...
"Thüringen hat sich verändert", sagt eine Frau hinter dem Steuer ihres Autos mit ähnlich brüchiger Stimme. Auch sie ist (natürlich) traurig, denn seit ihre Mutter wieder bis zum Einbruch der Dunkelheit arbeitet – tun wir das irgendwie nicht alle, wenn die Sommerzeit erst mal vorbei ist? –, muss sie Letztere mit dem Auto abholen, weil die arme Frau nur noch in Notfällen mit dem Zug fährt, da das viel zu gefährlich ist. Aha. Wegen der Hooligans von Dynamo Dresden oder was? Nein, natürlich nicht. Das Problem ist natürlich der Schwarze Mann, dieser vergewaltigende Bombenleger, der mordend durch unser ach so friedliches Deutschland streift und rechtsradikalen Brandstiftern und Totschlägern ungefragt die Arbeit wegnimmt.
Aber es wird noch schlimmer, denn "wenn das Dieselgebot" kommt, kann sich die Tochter das Auto vermutlich nicht mehr leisten, was im Umkehrschluss vermutlich heißt, dass ihre Mutter dann rund um die Uhr arbeiten muss – nach Hause kann sie dann ja nicht mehr.
Stellte ich (Konjunktiv) an dieser Stelle in den Raum, dass die AfD auf subtile Weise Fremdenhass und Existenzängste schürt, wäre ich (Konjunktiv) einmal mehr ein Gutmensch – unfassbar, dass das mittlerweile ein Schimpfwort ist –, der die Zeichen der Zeit nur noch nicht erkannt hat und sich noch wundern wird, wenn ganz Deutschland erst mal schwarz und islamisiert ist (was politisch ja eigentlich ein Oxymoron ist). Also schreibe ich auch das ausdrücklich NICHT, um nicht die Gefühle der AfD zu verletzen, die ja eine ehrenwerte Partei ist und für die Sorgen und Nöte der Menschen eintritt. Schön. Rechts so ...
Ein älterer Herr, der 1989 in Erfurt für das Ende der DDR und eine bessere Zukunft demonstriert hat – und damit über jeden Verdacht, ein Nazi zu sein, erhaben ist –, brüht sich einen Tee auf und bemängelt, dass seine Generation "abgespeist" wurde und wir "Freiheit, Selbstbestimmung und gegenseitigen Respekt verlieren. Es ist wieder Zeit für Veränderung", schlussfolgert er.
Käme ich (Konjunktiv) an dieser Stelle auf die irrige Idee, die AfD würde (Konjunktiv) wiederum mit Halbwahrheiten suggerieren, dass unsere freiheitlichen Grundwerte und der gegenseitige Respekt – wobei man auch die Forderung nach Respekt seitens der AfD durchaus als Oxymoron werten könnte –, durch Altersarmut, Überfremdung and andere abstrakte Schreckgespenster gefährdet sind, wäre ich (Konjunktiv) wohl ein arroganter Wessi, dem die Sorgen der Menschen in Thüringen oder Sachsen egal sind. Also komme ich auch darauf ausdrücklich NICHT zu sprechen, sondern zeige einen gut integrierten Afghanen meiner Wahl als Kinderschänder an – weil das sind die ja alle – und lasse ihn ausweisen. Es geht doch nichts über einfache Lösungen ...
Das Traurige an der ganzen Misere ist allerdings gar nicht mal die AfD, deren manipulativer Populismus ohne das Versagen und die Selbstgerechtigkeit der regierenden Parteien, egal welcher Couleur, nämlich gar nicht erst möglich gewesen wäre. Aber nachdem sich auch nach dem 50. Wahlsieg der AfD nichts ändert, komme ich langsam nicht umhin, die AfD-Wähler bis zu einem gewissen Punkt zu verstehen. Eine anfängliche Unzufriedenheit führt zu Frustration, aus Frustration wird Wut, und die mündet irgendwann – wenn es blöd läuft – in Hass oder die (durchaus nachvollziehbare) Forderung nach einer neuen Politik.
Und jetzt? Eigentlich ganz einfach, liebe regierende Parteien. Kneift endlich mal die Arschbacken zusammen, grabt den Rattenfängern das Wasser ab, indem ihr die Menschen mit Argumenten überzeugt und bietet ihnen echte Alternativen und Zukunftschancen, anstatt immer nur dieselben hohlen Phrasen zu dreschen.
Und was die AfD angeht, die im Kern – nicht in ihrer Gesamtheit – nicht nur in meinen Augen zutiefst undemokratisch ist ... klar kann man sie aus Protest wählen, allerdings sollte man sich dann bewusst sein, dass es einen Faschismus Light nicht gibt. Man kauft immer das Gesamtpaket und öffnet damit früher oder später die Büchse der Pandora.
Aber was weiß ich schon ...
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