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Magentageschwür I

  • Autorenbild: Milaidin
    Milaidin
  • 15. Nov. 2019
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 17. Dez. 2019

Mein Telefon klingelt. Auf dem Display steht "Anonym". Und weil außer meinen Eltern niemand seine Rufnummer unterdrückt – wobei meine Eltern das nicht bewusst tun, sondern schlichtweg nicht wissen, dass man die Nummer auch nicht unterdrücken kann – melde ich mich standesgemäß ...


"Kernkraftwerk Chieming Ost, Abteilung Brennstabentsorgung ..." Schweigen am anderen Ende der offenbar langen Leitung. "Dr. Fendrich?", versuche ich es zaghaft mit einer weiteren, an sich eingespielten Begrüßung, die mein Telefon allerdings nicht mit dem gewohnten "Dr. Gruber", sondern mit einem Besetztzeichen quittiert. Hahaaaaaa, erwischt. Jetzt dachte meine Mutter – mein Vater ruft nur in Ausnahmefällen an – tatsächlich, sie hat sich verwählt!


Fünf Sekunden später startet mein anonymer Anrufer einen weiteren Versuch. "Krematorium Kolbermoor, was kann ich für Sie tun?" Schweigen. Besetztzeichen. Wieder aufgelegt. Als das Telefon wenig später ein drittes Mal klingelt, beschließe ich, meine Mutter zu erlösen, und melde mich einfach mit meinem Namen ...


"Ah, schön, dass ich Sie gleich erreiche. Alexander Reis-Meucci hier, von der Deutschen Telekom."


Autsch, das ist eindeutig nicht meine Mutter ... und obiger Name ist natürlich geändert – was tut man nicht alles für ein bisschen Telekom-Flair.


"Ich rufe wegen Ihres Telefonanschlusses an", verkündet mein anonymer Anrufer.


Ach? Echt jetzt? Wer hätte das gedacht?


"Genauer gesagt ... wegen Ihres Anschlusses in München."


Aha, es geht also um den Telefonanschluss meines Sohnes, der neuerdings in München studiert und von der Vormieterin seiner Wohnung den Telekomvertrag übernommen hat ... VOR SECHS WOCHEN!


"Okay? Worum geht es denn?", frage ich höflich, weil das offenbar irgendwie von mir erwartet wird. "Ähm, also wir müssten da noch einige Punkte klären, bevor wir den Vertrag auf Sie umschreiben können. Zum einen müssten Sie heute um 11 Uhr 48 eine E-Mail mit einem Link erhalten haben. Den müssten Sie bitte bestätigen, damit wir Sie anrufen dürfen, um ..."


"Moooooment. Haben Sie gerade gesagt, Sie rufen mich an, um mich zu bitten, auf einen Link zu klicken, der Ihnen erlaubt, mich anzurufen? Wer genau sind Sie? Kafka? Rufen Sie mich deshalb anonym an, damit es keiner merkt?"


"Ähm, also, wir, ähm ... wir, also die Telekom, ähm, wir haben da gerade ein Problem mit der Rufnummernübermittlung. Deshalb habe ich Ihnen vorhin auch schon auf die Mailbox gesprochen, damit Sie sich nicht wundern, dass ich Sie anonym ..."


Wow. Jetzt heißt es tief durchatmen und ganz ruhig, Brauner. Das Callcenter der Telekom hat also ein Problem mit der Rufnummernübermittlung. Darum sprechen die Mitarbeiter den Kunden auf die Mailbox, um sie über das Problem zu informieren, ehe sie sie dann tatsächlich anrufen. Wie geil ist das denn?


Das Konzept gefällt mir, ich spiele den Spaß also mit ...


"Bei der Telekom wundern sich einige – und ich gehöre zufällig dazu – schon nicht mehr", falle ich dem latent absurden Callcenter-Beckett ins Wort. Also ... wegen dieses Links. Was passiert denn, wenn ich da jetzt nicht draufklicke? Schweigen Sie mich dann an, bis ich mürbe werde?"


"Nein, natürlich nicht. Mha-ha-ha-ha. In diesem Fall müssten wir warten ..."


"Warten? Auf Godot?"


"Was?"


"Argh, vergessen Sie's. Worauf genau müssten wir dann denn warten?"


"Darauf, dass Sie auf den Link klicken."


"Sonst?"


"Sonst können wir den Vertrag nicht auf Sie umstellen."


"Den Vertrag, der seit sechs Wochen läuft?"


"Genau den."


Ich strecke die verbalen Waffen und kapituliere ...


"Okay, dann suche ich jetzt mal die Mail und klicke dann auf besagten Link."


"Alles klar. Wir melden uns dann wieder, sobald Sie den Link bestätigt haben ..."


"Warten Sie, ich hab die Mail schon gefunden. Wir können also gleich ..."


Und gerade, als ich auf den Link in der Mail klicke, höre ich es wieder ... das vertraute Besetztzeichen. Jetzt hat mein Callcenter-Kumpel Estragon doch tatsächlich aufgelegt und ich warte. Nur leider nicht auf Godot, sondern auf einen neuerlichen Anruf der Telekom ..


30 Sekunden später klingelt mein Telefon ...


Fortsetzung folgt ...

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Werbung kann sie, die Telekom ... das war's dann aber auch schon ... Quelle: Mateus Maia




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